Diversität im Unternehmen – bei nicht wenigen Organisationen heißt das: Auf den Anteil von Frauen und Männern schauen, auch auf jeder Hierarchieebene. Und bei der Besetzung von Projektgruppen darauf achten, dass Alt und Jung vertreten sind, sei’s vom Alter oder von der Betriebszugehörigkeit her. Ein guter erster Schritt, doch für nutzbringende Diversität und Inklusion braucht’s noch mehr.

„Immer dasselbe, wann gibt’s mal endlich etwas anderes zum Essen?“ Ich habe keine Ahnung, warum sich das minderjährige Haushaltsmitglied beschwert. Der Speiseplan der vergangenen fünf Tage war doch sehr abwechslungsreich: Maccheroni, Fusilli, Penne, Tortiglioni und Girandole – oder kurz: Barilla No. 44, 98, 73, 83 und 34. Und das mit Pilz-Sahne-Sauce, Tomatensauce, Käsesauce, Knoblauch-Kräuter-Sauce bzw. Gemüsesauce. Das ist doch echte Vielfalt in der Küche – sozusagen gelebte kulinarische Diversität … finde ich. Doch mein Gegenüber ist da ganz anderer Meinung und redet von Reis, Kartoffeln, Buchweizen, Hirse. Von Auberginen, Kürbis, Spinat, Mais. Von Salat, Kohl, Fenchel, Quinoa. Vielleicht hat da jemand Recht?

Diverse Kriterien der Diversität

Übertragen auf eine Organisation bedeutet das: Vielfalt auf ein oder zwei Kriterien zu beschränken, das ist schon mal besser als jeden Tag Spaghetti mit Tomatensauce. Solange es nicht dabei bleibt, Diversität als eine Frage nur in Bezug auf Nudeln – respektive als eine Frage nur in Bezug auf das Geschlecht – zu betrachten. So ist bei einer Diskussion um Arbeitszeiten oder Jobrad-Angebote ein Kriterium wie die Länge des Weges zur Arbeit relevanter. Und bei einem Projekt, bei dem um kurz vor zwölf Umsetzungsqualitäten gefragt sind, sollten diejenigen mit einem Hang zum Infragestellen oder Ausloten von Möglichkeiten eher nicht dabei sein.

Doch worauf kann sich Diversität alles beziehen? Vor über 30 Jahren haben Lee Gardenswartz und Anita Rowe das Modell der Four layers of diversity entwickelt. Das ist seitdem Vorbild und Referenz für Aktivitäten rund um Diversität.

Tabelle mit 4 Ebenen zur Diversität: Persönlichkeit, Kern-Dimension, Äußere Ebene, Organisationale Ebene

Vier Ebenen der Diversität [nach: https://www.gardenswartzrowe.com/why-g-r]

Die erste Ebene ist die der Persönlichkeit:

  • Welche Vorlieben (Präferenzen) hat jemand – zum Beispiel: Vertieft sie sich lieber in konkrete Details oder betrachtet sie lieber mögliche Zusammenhänge?
  • Mit welcher Haltung führt jemand andere – zum Beispiel: Vertritt er die eigene Meinung auch bei Gegenwind eher konsequent oder gibt er schnell nach?
  • Auf welche Kompetenzen greift jemand zurück – zum Beispiel: Kann sie schnell den Bedarf an Innovationen erkennen oder steht für sie die bewährte Logik des Bekannten eher im Vordergrund?

Diese Ebenen der Persönlichkeit greifen wir übrigens mit dem Power-Potential-Profile auf, unserer multidimensionalen Potenzialanalyse.

Die zweite Ebene, die der Kern-Dimension, ist die verbreitetste bei Diversitätsaktivitäten in Organisationen. Unter diesen Kriterien sind die sichtbaren für viele besonders naheliegend, schließlich muss man da niemanden fragen… Man sieht es ja, ob Mann/Frau, alt/jung, hell-/dunkelhäutig. Doch auch die anderen in der Tabelle genannten sind für die Vielfalt im Unternehmen mindestens genauso wichtig.

Die dritte und vierte Ebene beziehen sich auf außerhalb der Person liegende Aspekte:

  • Zum einen die Verortung in der Gesellschaft mit Kriterien, die weitgehend eine Milieuzugehörigkeit bestimmen;
  • zum anderen die Verortung in der Organisation entlang Hierarchien und Aufgaben.

Die hohe Kunst des Diversitätsmanagements besteht im Variieren der verschiedenen Kriterien.

Diversitätsmanagement ist Changemanagement

In der Regel erleben wir in unserer Beratungspraxis zum Diversitätsmanagement spätestens an dieser Stelle ein Staunen, verbunden mit Widerstand: Ein Staunen über die Vielschichtigkeit des Themas und Widerstand hinsichtlich der als unmöglich angenommenen Umsetzbarkeit. Dazu drei Anmerkungen:

  1. Es kommt nun nicht darauf an, in einen Vielfalt-Überbietungswettbewerb zu gehen nach dem Motto: Je mehr der 24 in der Abbildung genannten Kriterien Anwendung finden, umso besser ist das Diversitätsmanagement. Vielmehr besteht die Kunst darin, je nach Aufgabe und Situation die jeweils relevanten Kriterien zu benennen. Dieses Benennen sollten Sie nicht alleine machen, sondern immer im hoffentlich kontroversen Austausch mit möglichst ‚anderen‘ Anderen.
  2. Diversität hat selbstverständlich auch etwas mit dem Abbau von Nachteilen zu tun – nicht nur solche, die sich auf Kriterien der Kern-Dimension beziehen. Hinzu kommt dann noch eine zweite Seite. Nämlich die der Chancen für die Organisation durch ein professionelles Diversitätsmanagement: „Das »Defizitmodell« der Nachteilsbeseitigung und Nachteilsvermeidung wird um das aktive Element der Herausbildung strategischer Vielfalt erweitert. Homogenisierung als Strategie des Diversity Managements nach dem Motto »Niemand darf benachteiligt werden!«. wird ergänzt durch den Aufbau von Vielfalt nach dem Motto »So viel Vielfalt wie erforderlich!«. [Becker, S. 17] Damit erhöht die Organisation die eigenen Wahrnehmungs- und Handlungsmöglichkeiten und kann folglich in komplexen Situationen besser agieren.
  3. Diversitätsmanagement ist auch immer Changemanagement. Verändert werden sollten nicht nur Stellenanzeigen und Unternehmensleitlinien, sondern auch Personalpolitik und -auswahl, Teambesetzungen und Arbeitsorganisation. Durch diese und viele andere Maßnahmen verändert sich eine Organisation nach und nach Richtung mehr Diversität.

Um diese drei genannten Punkte – relevante Diversitätskriterien, Erhöhen der Vielfalt als Zweck, Changemanagement –  wirksam werden zu lassen, benötigt eine Organisation nicht nur Zeit, sondern auch Ressourcenpuffer. Und das gleich vierfach:

  • Die Möglichkeit, Vielfalt auszuprobieren;
  • die Kompetenz (als Fähigkeit und als Recht), Konflikte einzugehen;
  • der Schutz bei Angriffen und ungewissen Situationen;
  • die Chance, Diversität als Innovationsmotor zu erleben.

Ist das gewährleistet, können die Menschen in und um die Organisation so handeln, dass neue vielfältige Strukturen entstehen.

Diversity is our passion. Inclusion is critical to your business.

So lautet ein Eintrag auf der Webseite von Lee Gardenswartz und Anita Rowe. Die beiden legen damit den Blick auf die zweite Seite der Medaille:

  • Auf der ersten steht Diversität – das Fördern, nicht nur das Zulassen von vielfältiger Vielfalt.
  • Auf der zweiten Seite steht Inklusion – das Aktivieren der Diversität zum Nutzen der Organisation.

Mit Inklusion ist hier nicht der pädagogische Begriff gemeint (die Inklusionsschule als Schule mit beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Kindern), sondern der soziologische: Inklusion als gleichberechtigte Teilhabe. Den Unterschied zu Diversität erklärt Veronika Hucke so:

„Diversity ist die Mischung, Inclusion heißt dafür zu sorgen, dass sie funktioniert“, oder „Diversity ist die Einladung zur Party, Inclusion ist die Aufforderung zum Tanz“. Wichtig ist also nicht nur, unterschiedliche Menschen im Unternehmen zu beschäftigen (Diversity), sondern dafür zu sorgen, dass sie Wertschätzung erfahren, gleiche Möglichkeiten haben und erfolgreich zusammenarbeiten (Inclusion). Damit zeigt sich auch, dass der Begriff „Inclusion“ weiter gefasst ist als „Chancengleichheit“. [Hucke, S. 2f.]

Erst inklusiv wird Diversität in Organisationen zum Praxis-Nutzbringer. Dieser Gedanke gefällt mir übrigens für uns daheim sehr gut: Wenn Diversität in der Küche bedeutet, wirklich Abwechslung in den Speiseplan zu bringen – heißt dann Inklusion nicht: Alle helfen beim Kochen mit? Das werde ich gleich mal ansprechen…

Frank Wippermann

Becker, M. (2015): Systematisches Diversity Management. Konzepte und Instrumente für die Personal- und Führungspolitik. Stuttgart. [https://shop.haufe.de/prod/systematisches-diversity-management?]

Hucke, V. (2017): Mit Vielfalt und Fairness zum Erfolg. Praxishandbuch für Diversity und Inclusion im Unternehmen. Wiesbaden. [https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-16878-0]

Bild: https://pixabay.com/de/photos/menschen-netzwerk-social-media-3108155/