In einer Welt, die zunehmend von Unwägbarkeiten geprägt ist, ist die Fähigkeit zur Krisenbewältigung zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor für Führungskräfte in Unternehmen geworden.
Wie genau dieser Prozess funktioniert, erläutert Volker Petersen, ein erfahrener Krisenmanagement-Experte, in dieser neuen Podcast-Folge. Er kombiniert jahrzehntelange Führungserfahrung in Industrie und Handel mit seinem Engagement im Feuerwehrwesen – eine beeindruckende Mischung aus zwei unterschiedlichen Welten.
Lernen aus Katastrophen: Die Bedeutung von Krisenstäben
Eine prägende Erfahrung für Petersen war seine Mitwirkung bei einem der schwersten Zugunglücke in der deutschen Geschichte – dem ICE-Unglück von Eschede im Jahr 1998. „Solche großen Schadensereignisse erfordern das Zusammenspiel von Rettungsdiensten, Polizei, Feuerwehr und weiteren Organisationen in Krisen- und Katastrophenstäben“, erklärt er. Auch bei weiteren Großereignissen, wie Hochwasserkatastrophen, sammelte er wertvolle Erfahrungen in Krisenstäben und Einsatzleiter der Feuerwehr vor Ort.
Diese Expertise nutzt Volker Petersen heute, um Unternehmen dabei zu unterstützen, auf unvorhersehbare Ereignisse jedweder Art vorbereitet zu sein. Das Ziel: Strukturen und Prozesse schaffen, die es ermöglichen, schnell und effektiv zu reagieren, um Schäden zu minimieren und schnellstens wieder zu einem ordentlichen Betriebsablauf zurückzukehren.
Warum Unternehmen Krisenmanagement priorisieren sollten
Der Transfer von Erfahrungen aus der Katastrophenbewältigung auf die unternehmerische Praxis lohnt sich. Unternehmen profitieren davon, wenn sie frühzeitig Notfallpläne entwickeln, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schulen und klare Verantwortlichkeiten definieren. Volker Petersen betont: „Professionelles Krisenmanagement kann in Unternehmen nicht nur Verluste reduzieren, sondern auch langfristig Wettbewerbsvorteile schaffen.“ Denn eins ist sicher: Das nächste unplanbare Ereignis kommt bestimmt.
Expertise und Struktur machen den Unterschied
Krisenmanagement wird oft falsch verstanden. „Man denkt zunächst nur an betriebswirtschaftliche Themen wie Forderungsmanagement oder Rentabilität“, erklärt Petersen. Doch eine weitere Herausforderung besteht im Umgang mit plötzlichen, disruptiven Ereignissen, die den Betrieb unmittelbar gefährden. Hierzu führt er einige echte Erlebnisse aus seiner Erfahrung an:
- Ein Wassereinbruch in einer Lagerhalle: 14.000 Quadratmeter Lagerfläche standen unter Wasser und mussten aufwendig saniert werden, während 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz nicht betreten konnten.
- Eine Bombenentschärfung vor dem Firmengelände: Hier war die gesamte Belegschaft betroffen, da weder Ein- noch Ausfahrten möglich waren. Gleichzeitig musste die Situation mit Polizei, Feuerwehr, Lieferanten und Medien koordiniert werden.
- Extremwetter und Blackouts: Starkregen, Stürme oder flächendeckende Stromausfälle stellen Unternehmen vor massive logistische und operative Herausforderungen, insbesondere wenn die Ausfälle mehrere Wochen anhalten.
Die Beispiele aus Petersens Praxis zeigen, dass Krisenmanagement keine bloße Nebensache ist, sondern eine Kernkompetenz für jedes Unternehmen.
Drei Schritte zur Krisensicherheit
Wenn Volker Petersen in ein Unternehmen kommt, um dessen Krisenmanagement zu optimieren, folgt er einem bewährten Drei-Tages-Plan:
Tag 1: Analyse und Kennenlernen
Der erste Schritt besteht darin, das Unternehmen zu verstehen. Petersen führt Interviews mit der Geschäftsführung und gegebenenfalls mit Sicherheitsbeauftragten. Dabei werden die zentralen Fragestellungen erörtert:
- Wie ist das Unternehmen organisiert?
- Gibt es spezielle Gefahren, wie den Umgang mit Gefahrstoffen?
- Welche betrieblichen Prioritäten gibt es?
Ziel ist es, einen Überblick zu gewinnen und die spezifischen Risiken des Unternehmens zu identifizieren.
Tag 2: Aufbau eines Krisenstabs
Am zweiten Tag hilft Petersen, einen sogenannten Krisenstab zu etablieren – ein Team von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus verschiedenen Abteilungen, das in Notfällen die Verantwortung übernimmt. Der Krisenstab wird geschult, um auf potenzielle Krisenszenarien vorbereitet zu sein. „Es geht darum, das Team mit den Themen zu konfrontieren und die notwendigen Fähigkeiten zu vermitteln“, erklärt er.
Tag 3: Übungsszenario
Praxis ist entscheidend, um das Gelernte anzuwenden. Daher wird der dritte Tag für eine Krisenübung genutzt. Petersen erstellt ein individuelles Szenario, das auf die spezifischen Ängste und Herausforderungen des Unternehmens zugeschnitten ist – sei es ein Feuer, ein Cyberangriff oder ein Starkregenereignis. Der Krisenstab arbeitet das Szenario nach einem Drehbuch ab, was nicht nur Erkenntnisse über offene Flanken liefert, sondern auch das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten stärkt.
Das Ziel des dreitägigen Programms ist zum Einen Schwachstellen aufzudecken, zum Anderen aber auch Sicherheit und Selbstbewusstsein im Umgang mit Krisen zu schaffen. Petersen betont, dass die Übungen den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Freude bereiten, weil sie ihnen ein Gefühl von Kontrolle und Vorbereitung vermitteln. „Die Teilnehmer erkennen oft Aspekte ihres Unternehmens, die ihnen vorher nicht bewusst waren, und fühlen sich erleichtert, nachhaltige Lösungen gefunden zu haben“, so Petersen.
Ein Szenario, viele Erkenntnisse
Der Prozess startet mit der Auswahl eines spezifischen Krisenszenarios, das der Unternehmer selbst auswählen kann. Sei es ein Sturm, ein Feuer oder ein Cyberangriff. Doch reicht ein Szenario denn wirklich aus? Petersen erläutert: „Der Krisenstab arbeitet von seiner Grundstruktur immer gleich. Unabhängig davon, ob es ein Brand oder eine Naturkatastrophe ist, lässt sich das erlernte Vorgehen auf viele andere Situationen übertragen.“ Dieser universelle Ansatz ermöglicht es, mit einer Übung eine breite Krisenkompetenz aufzubauen.
Der Aufbau eines effektiven Krisenstabs
Ein effektiver Krisenstab ist das Herzstück des Krisenmanagements und besteht typischerweise aus sieben Mitgliedern, die verschiedene Unternehmensbereiche repräsentieren:
Sachgebiet 1: Personal
Das Sachgebiet „Personal“ kümmert sich um alle Themen, die die Belegschaft betreffen. Das beinhaltet die Organisation von Schichtplänen, die Absage von Schichten und die Kommunikation mit Mitarbeitenden. Auch die personelle Besetzung des Krisenstabs sowie mögliche Ablösungen bei längeren Krisenfällen fallen in diesen Bereich.
Sachgebiet 2: Lage
Die Lagedarstellung ist zentral für den Überblick in einer Krise. Dazu gehören visuelle Darstellungen des Schadens, z. B. auf einem Whiteboard oder Flipchart, sowie die Protokollierung aller Entscheidungen. Das Protokoll ist nicht nur für Versicherungen relevant, sondern auch für behördliche oder juristische Nachfragen, die oft erst Jahre später auftreten.
Sachgebiet 3: Einsatz
Der oder die „Einsatz“-Verantwortliche ist die Schnittstelle zu externen Einsatzkräften wie Feuerwehr, Polizei oder Behörden. Er oder sie sorgt für einen reibungslosen Informationsfluss und steht als Ansprechpartner/in bereit, falls es um spezifische Einsatzmaßnahmen geht.
Sachgebiet 4: Logistik
Die Logistik kümmert sich um die Organisation von Ressourcen wie Handwerkern, Verpflegung oder technischem Equipment. Häufig übernimmt jemand aus der Einkaufsabteilung diese Aufgabe, da diese Personen über regionale Kontakte und Netzwerke verfügen, die im Ernstfall entscheidend sind.
Sachgebiet 5: Kommunikation
Öffentlichkeitsarbeit ist in einer Krisensituation oft entscheidend. Der oder die Verantwortliche für Kommunikation koordiniert Anfragen von Behörden, Journalisten und sozialen Medien. So wird die Außenkommunikation des Unternehmens professionell und einheitlich gehandhabt, um Unruhe oder Missverständnisse zu vermeiden.
Sachgebiet 6: IT und Infrastruktur
Die IT-Sicherheit spielt eine Schlüsselrolle. Ob Hardwareausfälle, Softwareprobleme oder der Ausfall eines ERP-Systems – dieses Sachgebiet sorgt dafür, dass technische Probleme schnellstmöglich behoben werden. Auch Präventivmaßnahmen gegen Cyberangriffe fallen in diesen Bereich.
Leitung des Krisenstabs
Die Leitung koordiniert den gesamten Krisenstab. Dabei muss es sich nicht zwangsläufig um die Geschäftsführung handeln – im Gegenteil: Petersen empfiehlt, diese Rolle einem oder einer erfahrenen Mitarbeitenden aus der zweiten Führungsebene zu überlassen. Die Geschäftsführung bleibt so im Hintergrund, um strategische Entscheidungen zu treffen, ohne in die operativen Abläufe eingebunden zu sein.
Die Stärke dieser Struktur liegt in ihrer Flexibilität. Ganz gleich, ob es sich um einen Gebäudebrand, Naturkatastrophen oder Cyberangriffe handelt – der Krisenstab arbeitet immer nach denselben Prinzipien. Diese universelle Herangehensweise macht es möglich, mit einer Übung oder einem Szenario Kompetenzen aufzubauen, die auf viele andere Krisen übertragbar sind.
Rechtliche Grundlagen: Warum Krisenmanagement Pflicht ist
Eine professionelle Krisenbewältigung ist nicht nur eine Frage der Verantwortung, sondern auch rechtlich begründet. So unterliegen Geschäftsführungen in Deutschland einer Fürsorgepflicht gemäß § 618 BGB, die vor allem den Schutz der Mitarbeitenden im Blick hat. Ein Verstoß gegen diese Verpflichtung kann schnell zu rechtlichen Konsequenzen führen – insbesondere, wenn es um die kaufmännischen Sorgfaltspflichten gemäß § 43 Abs. 2 GmbHG geht.
Volker Petersen erklärt: „Eine Geschäftsführung, die nachweisen kann, dass ein strukturiertes Krisenmanagement etabliert ist und regelmäßig geübt wird, hat eine starke Verteidigungsposition. Wer das ignoriert, liefert der Gegenseite unnötig Angriffsfläche.“
Deshalb ist es sinnvoll, einmal jährlich einen Tag ausschließlich für Krisenmanagement-Übungen einzuplanen.
Die veränderte Sicherheitslage in Deutschland
Neben den rechtlichen Verpflichtungen rückt auch die veränderte Sicherheitslage die Bedeutung von Krisenmanagement in den Vordergrund. Die Bundesregierung hat eine nationale Sicherheitsstrategie formuliert und einen „Operationsplan Deutschland“ entwickelt, der sich auf Prävention und Reaktionsfähigkeit konzentriert.
EU-weit sorgen zudem zwei Richtlinien für Handlungsbedarf:
- Das Kritis-Dach-Gesetz (nationale Ratifizierung steht an)
Dieses Gesetz regelt den Schutz der sogenannten „kritischen Infrastruktur“ (Kritis). Es betrifft vor allem Perimeterschutzmaßnahmen wie Zugangskontrollen, Videoüberwachung oder Einbruchmeldeanlagen. - Die NIS2-Richtlinie (nationale Ratifizierung steht an)
Diese Richtlinie zielt auf die Cyber-Sicherheit von Unternehmen ab. Sie legt fest, wie Unternehmen mit Cyberangriffen umgehen müssen, um Daten und Systeme zu schützen.
Was bedeutet „kritische Infrastruktur“?
Der Begriff „kritische Infrastruktur“ (ehemals „systemrelevant“) umfasst 13 zentrale Sektoren, die für das Funktionieren unserer Gesellschaft unverzichtbar sind. Dazu gehören u. a.:
- Transport und Logistik
- Medizinischer Sektor
- Ernährung und Einzelhandel
- Trinkwasserversorgung und Abfallentsorgung
- Telekommunikation und Mobilfunk
Diese Unternehmen sind durch die europäischen und nationalen Vorgaben dazu verpflichtet, ein umfassendes Krisenmanagement einzurichten. Doch auch Unternehmen, die nicht in diese Kategorien fallen, sind gut beraten, sich entsprechend vorzubereiten. „Am Ende ist es gleichgültig, ob Sie ein Unternehmen der kritischen Infrastruktur sind oder nicht. Sie profitieren immer davon, wenn Sie vorbereitet sind,“ betont Petersen. Krisenmanagement ist kein „Nice-to-have“, sondern eine unternehmerische Notwendigkeit.
Führung, Entscheidung und Kommunikation als Schlüsselkompetenzen
Oft stellt sich die Frage, ob Menschen für Krisensituationen „gemacht“ sind oder ob diese Fähigkeiten trainiert werden können. Laut Volker Petersen ist Letzteres möglich: „Führen, Entscheiden und Kommunizieren sind essenzielle Fähigkeiten im Krisenmanagement. Diese Kompetenzen sind nie so gut, dass man sie nicht noch verbessern könnte.“
Ein gut strukturierter Krisenstab kann durch regelmäßige Trainings nicht nur die notwendigen Fähigkeiten stärken, sondern auch den „Doppel-Effekt“ nutzen: Neben der Verbesserung des Krisenmanagements wird die Persönlichkeitsentwicklung der Beteiligten gefördert. Besonders spannend ist, dass Mitarbeitende oft ungeahnte Potenziale zeigen, wenn sie in Krisensituationen über sich hinauswachsen.
Kompetenzen regelmäßig trainieren führt zu Autonomie
Effektives Krisenmanagement lebt von Vorbereitung und Wiederholung. Petersen empfiehlt mindestens ein jährliches Training: „Ein Tag pro Jahr reicht für mittelständische Unternehmen aus, um das Wissen aufzufrischen und ein neues Szenario durchzuspielen.“ Dabei gehe es nicht nur darum, Funktionen und Zuständigkeiten zu klären, sondern auch, das Team unter Stressbedingungen zu testen. Dies schafft Sicherheit und stärkt die Entscheidungsfähigkeit. Volker Petersen stellt heraus: „Eine gute Beratung sorgt dafür, dass Unternehmen selbstständig handeln können. Ein Berater, der seinen Auftrag so gestaltet, dass ohne ihn nichts mehr funktioniert, macht keinen guten Job“.
Fazit: Vorbereitung ist der beste Schutz
Krisenmanagement ist keine Frage des Talents, sondern der Übung. Unternehmen, die regelmäßig trainieren und ihre Mitarbeitenden in Führung, Entscheidungsfähigkeit und Kommunikation stärken, sind für Krisen gewappnet. Ein gut trainierter Krisenstab und der Fokus auf Persönlichkeitsentwicklung machen den Unterschied. Unternehmen sollten die Chance nutzen, nicht nur für Notfälle vorbereitet zu sein, sondern auch ihre Teams nachhaltig zu stärken. Dabei sind wir von flow consulting gerne Sparringpartner, z. B. wenn es um die Entwicklung persönlicher Stärken mit dem Power-Potential-Profile® oder um den Umgang von Führungskräften mit komplexen Situationen geht.
Literaturtipps:
Leitfaden zum Krisenmanagement ISO 22361, April 2024, Erich Schmidt Verlag
Dein Weg zum krisenfesten Unternehmen, März 2022, Hamann, Frischbier, Jahns, Eigenverlag
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Bilder: shutterstock 1334110262 und 2313091011