Juli 2021: Sommerlektüre “Klara und die Sonne”

Nach 2019 greife ich erneut das Thema Künstliche Intelligenz auf für meine Sommerlektüren-Empfehlung: „Klara und die Sonne“ des Nobelpreisträgers 2017 für Literatur Kazuo Ishiguro.

Es handelt von Klara, einer KF – KF steht für ‚Künstliche Freundin‘. Ist dieses Buch also nur ein Aufguss des Buches “Maschinen wie ich” aus dem Sommer 2019? Nur auf den ersten Blick. Denn das neue Buch des in Nagasaki geborenen britischen Autoren ist ganz anders. Ein erster Unterschied sticht sofort hervor: Klara schreibt aus der Ich-Perspektive, wir lernen also unsere Welt aus der Perspektive eines Roboters kennen. Und damit auch die Schlichtheit ihrer Grammatik sowie ihrer Gedanken. So meint sie zum Beispiel, die Sonne würde jeden Abend im Feld neben einem Bauernhof schlafen gehen…

Es geht um mehr als ‘nur’ um Künstliche Intelligenz

Der zweite Unterschied zu Adam in „Maschinen wie ich“: Klara konkurriert nicht mit Menschen – oder die mit ihr. Nein, ihre Aufgabe ist, Josie Gesellschaft zu leisten, einer kränklichen 14-Jährigen. So ist Klara also unterstützend, wohlwollend und hilfsbereit. Eine echte KF eben. Kazuo Ishiguro beschreibt in seinem Erstling seit der Nobelpreisverleihung 2017 weder die technikphilosophischen Hintergründe humanoider Roboter noch gesellschaftliche Auswirkungen von künstlicher Informationsverarbeitung (KI).

Er bestätigt einmal mehr die Begründung des Nobelpreiskomitees und deckt erneut den „Abgrund in unserer vermeintlichen Verbundenheit mit der Welt“ auf. Denn die herzliche Freundschaft zwischen Josie und Klara, die nett auf Samtpfoten daherkommt, spielt in einem menschlichen und menschengemachten Drama. Indem Kazuo Ishiguro die Geschehnisse aus Klara-Sicht lakonisch-naiv und leicht, locker und so selbstverständlich erzählt, wird die verbissene, absurde, inhumane Welt mit ihrer Fixierung auf technische Innovationen, effiziente Prozesse und rationale Kälte umso deutlicher.

Viele KFs – wenig KI

Erst die Roboter-Perspektive ermöglicht es dem lesenden Menschen, die Bedingungen und den Zustand des Menschseins zu reflektieren. Vielleicht ist es eine Chance für uns, durch die Roboterbrille betrachtete Wahrnehmungen – also durch einen wirklich sehr fremden Blick – dazu angeregt zu werden, über Kollegialität, Führung oder Verantwortung neu nachzudenken. Dazu braucht’s viele KFs, wenig KI – und am Ende (so wie auch in dem Roman) einen sehr menschlichen Blick.

Ich wünsche Ihnen einen HS*

Frank Wippermann

*herrlichen Sommer

Kazuo Ishiguro: Klara und die Sonne. Aus dem Englischen von Barbara Schaden. Blessing-Verlag, München 2021. 352~S., Fr. 34.90.

Bildnachweis: www.penguinrandomhouse.de/content/edition/covervoila_hires/Ishiguro_KKlara_und_die_Sonne_217741.jpg

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August 2019: Sommerlektüre “Maschinen wie ich”

Bei Bedarf: Hier sind 2 Empfehlungen von mir, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Beide greifen das Thema Künstliche Intelligenz auf – einmal faszinierend theoretisch, einmal unterhaltsam und fast erschreckend realistisch.

Das Denken ist hartes Brot, verehrte Maschine! – so titelt Andreas V.M. Herz, Professor für Computational Neuroscience an der LMU München. Er zeigt in seinem Beitrag in der FAZ einerseits auf, mit welch mächtigen Rechen- und Vernetzungsleistungen Künstliche Intelligenz bereits heute aufwarten kann. Andererseits beschreibt er die Grenzen der Nachbildung der Gehirnfunktionen und -leistung. Statt einer umfänglichen Entschlüsselung ist er mit einem „farbenfrohen Mosaikfenster“ verschiedener Theorien zufrieden, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. So weit – so theoretisch.

Fast bedrohlich realistisch, sehr lebensnah und skurril ist hingegen meine zweite Empfehlung: Ein Roman von Ian McEwan. Er ist im Diogenes Verlag erschienen und u. a. hier (auch als Hörbuch) erhältlich.

„Maschinen wie ich“

Charles kauft Adam, einen lebensechten Androiden. Ach ja, die 13 weiblichen der insgesamt 25 zum Verkauf stehenden Androiden waren leider ausverkauft, also kaufte Charles eben Adam – aus purer Neugier. Der mischt sich unerwartet schnell in Charles’ Privatleben ein, spinnt erste Intrigen und sät schnell Misstrauen gegenüber Miranda, der Freundin von Charles. Und so wird im Handumdrehen aus einem Liebespaar eine Dreiecksbeziehung. Dumm nur für Charles, dass Adam nicht nur belesener ist als er, sondern auch sonst fast immer – das Liebesleben inklusive. Nach und nach wird auch das Argument von Charles, dass Roboter zumindest keine Romane schreiben können, immer fraglicher und sukzessive entkräftet…

Ein Puzzle aus Fiktion und Realität

Künstliche Intelligenz trifft also auf reale Beziehungen und gesellschaftliche Wirklichkeit. Auch aktuelle Themen wie die „Me too-Diskussion” werden in die Erzählung integriert. Im Laufe der gut vierhundert Seiten wird der verzweifelte Kampf von Charles gegen „seinen“ Adam immer deutlicher, die immer wieder zum Scheitern verurteilte Selbstbehauptung des Roboterhalters Charles gegenüber “dem Ding” Adam. Wer wann Objekt wird, wann Subjekt ist … das wird flüssig und mit immer wieder neuen Anspielungen erzählt. Bei dem Themenkomplex „Maschine ersetzt Mensch“ ist das auf der reinen Erzählebene amüsant, auf der Übertragungsebene kommt man schnell ins Nachdenken: Was wäre, wenn Maschinen die „besseren“ Menschen werden – oder es bereits sind? Und worin, bitte, besteht dieses „besser“?

„Machines like me“, so der doppeldeutige Originaltitel des Buches, erzählt über eine Maschine. Unklar bleibt, ob deren Leiden und Lieben echt ist oder programmiert. Und der Roman präsentiert Menschen, die von Adam immer wieder in irrationale und irrwitzige Situationen gebracht werden. Mirandas Vater hält beispielsweise Adam für den Freund an der Seite seiner Tochter und Charles für den Roboter. Da muten die Anstrengungen des tatsächlichen Menschen schnell komisch an, die Künstlichkeit von Adam und die eigene Menschlichkeit immer wieder beweisen zu wollen. Tja, welche Beweise werden hier von wem denn als gültig angesehen – und mit welchem Recht?

Lesen Sie es am besten selbst

Ein unterhaltsamer Roman, locker geschrieben, schnelle Dialoge, überraschende Momente – warum das alles in die Anfänge der 1980er Jahre gelegt wurde, erschließt sich mir noch immer nicht. So what – dann gibt’s eben noch ein wenig Nachhilfe in englischer Geschichte: IRA, Falkland-Krieg und so weiter.

Ach ja: Den Cliffhanger, mit dem diese Dreiecksgeschichte endet, verrate ich hier nicht – das ist unfair gegenüber allen, die unbefangen an die Story um das Trio herangehen möchten. Lesen Sie also selbst.

Beste Grüße und eine angenehme Sommerzeit wünscht Ihnen

Frank Wippermann

Foto: Diogenes Verlag