Demokratie ist nichts, was einfach da ist – sie lebt davon, dass Menschen sie gestalten, verteidigen und immer wieder aufs Neue mit Leben füllen. Genau darum ging es in dem Projekt „mitWirkung!“, das die Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) im Landesverband Niedersachsen/Bremen entwickelt und umgesetzt hat.
Gefördert wurde dieses Projekt im Rahmen des Bundesprogramms „Zusammenhalt durch Teilhabe“ durch das Bundesinnenministerium, begleitet durch die Bundeszentrale für politische Bildung als Regiestelle. Innerhalb dieses Projekts wurde eine Ausbildungsreihe für Berater*innen durchgeführt, die innerhalb des Verbandes demokratische Strukturen stärken, Vielfalt fördern und Diskriminierung entgegenwirken sollen.
In einem intensiven Prozess über ein Jahr hinweg sind 15 engagierte Mitarbeitende – ehren- und hauptamtlich – als Berater*innen qualifiziert worden. Dabei ging es nicht nur um Methodenkompetenz, sondern auch um Haltung, Vernetzung und die Frage, wie demokratische Werte im Arbeitsalltag einer großen Hilfsorganisation ganz konkret gelebt werden können.

Marie Henners, Sophia Ludwig, Durdane Erseker (v.l.)
Die Ausgangslage: Demokratiearbeit im Verband verankern
Die Johanniter-Unfall-Hilfe (JUH) zählt mit 4302 hauptamtlichen und 7721 ehrenamtlichen [1] Mitarbeitenden in Niedersachsen und Bremen zu den größten Hilfsorganisationen Deutschlands. Bekannt sind die Johanniter vor allem für ihre Rettungsdienste und den Bevölkerungsschutz – doch das Spektrum reicht weit darüber hinaus: von Kitas über ambulante Pflegedienste bis hin zur Kinder- und Jugendhilfe.
„Wir wollten die demokratischen Strukturen bei uns im Verband stärken und Mitarbeitenden mehr Möglichkeiten zur Mitwirkung und Mitgestaltung geben“, erklärt Sophia Ludwig, Referentin für Organisationsentwicklung und Projektkoordinatorin bei der JUH. „Im Projekt mitWirkung! haben wir uns vorgenommen, konkrete Wege zu entwickeln, wie Vielfalt, Antidiskriminierung, Teilhabe und Transparenz stärker verankert werden können.“
Ein Ansatz dabei war, Führungskräfte einzubeziehen, um diese Themen auf strategischer Ebene zu verankern. Der zweite, besonders praxisorientierte Ansatz: Eine interne Fortbildungsreihe für Berater*innen, die Mitarbeitende dabei unterstützt, Konflikte zu lösen, Beteiligung zu fördern und für demokratische Werte einzustehen, unabhängig davon, ob sie in der Kita, im Rettungsdienst oder in anderen Bereichen tätig sind.
Die Idee: Beratungskompetenz trifft Wertearbeit
„Wir haben schnell gemerkt, dass wir zweierlei brauchen“, erinnert sich Merret Hinrichsen von flow consulting, die das Projekt gemeinsam mit ihrem Kollegen Dennis Eighteen begleitet hat. „Einerseits das Handwerkszeug für Beratung: Kommunikation, Moderation, Umgang mit Konflikten und Veränderungsprozessen. Andererseits die Verknüpfung mit den inhaltlichen Themen: Was bedeutet Teilhabe in einer Organisation? Wie reagieren wir auf Diskriminierung? Wie schaffen wir Transparenz und gute Entscheidungsprozesse?“
Daraus entstand ein Fortbildungsprogramm, das über ein Jahr hinweg in fünf Modulen an jeweils je 2,5 Tagen durchgeführt wurde. Die Teilnehmenden kamen aus verschiedenen Bereichen der JUH. Einige hatten bereits Beratungserfahrung, für andere war es eher Neuland.
Wichtig war von Anfang an, dass die Fortbildung kein isoliertes Lernprogramm bleibt, sondern Wissen und Haltung unmittelbar in den Alltag übertragen werden. Deshalb gab es neben den Modulen zusätzliche Transferaufgaben, kollegiale Beratungen und sogenannte Kaminabende, bei denen sich die Teilnehmenden ausgetauscht und diskutiert haben.
Die Umsetzung: Lernen, reflektieren, anwenden
Die fünf Module bauten Schritt für Schritt aufeinander auf:
- Kommunikation und Einzelberatung: Grundlagen für gute Gesprächsführung und unterstützende Beratung von Einzelpersonen.
- Gruppenberatung und Moderation: Wie lassen sich Teams durch schwierige Themen begleiten? Welche Moderationstools lassen sich nutzen, um auch hitzige Diskussionen konstruktiv zu moderieren und Vielfalt willkommen zu heißen?
- Umgang mit Veränderungen: Werkzeuge und Methoden aus dem Change Management, um Veränderungsprozesse professionell zu begleiten.
- Konfliktberatung: Vertiefung der Fähigkeiten, Konflikte zu analysieren, zu moderieren und tragfähige Lösungen zu erarbeiten.
- Abschluss und Integration: Zusammenführen aller Bausteine, gegenseitiger Erfahrungsaustausch und Feiern der gemeinsamen Lernerfolge.
„Besonders wertvoll war, dass wir uns für die Arbeit aus dem Arbeitsalltag rausgenommen haben“, erzählt Sophia Ludwig. „Die Seminare fanden in einem Tagungshaus statt, weit weg vom Tagesgeschäft. Dadurch hatten wir Zeit und Fokus, uns als Gruppe kennenzulernen, zu reflektieren und intensiv miteinander zu arbeiten.“

Auch methodisch war die Fortbildung vielfältig gestaltet: Inputs wechselten sich mit Gruppenübungen, Rollenspielen und Reflexionsphasen ab. Teilnehmende konnten eigene Fälle einbringen und so direkt an ihren realen Herausforderungen arbeiten.
Demokratie bringt immer Herausforderungen mit sich
Es gab auch kleine Stolpersteine und genau die machten den Prozess so lebendig. Die Corona-Pandemie verzögerte den Start und zwang zu Planänderungen. Bei den Kaminabende kam es durchaus auch zu hitzigeren Diskussionen. Doch gerade diese Momente zeigten, wie wichtig das Thema ist. Und wie wertvoll es ist, miteinander im Gespräch zu bleiben.
„Ich erinnere mich gut an einen Abend, an dem die Wellen etwas höherschlugen“, erzählt Merret Hinrichsen. „Es ging um Wertefragen, die sehr unterschiedlich gesehen wurden. Da war es herausfordernd, aber auch unglaublich wichtig, einen Schritt zurückzutreten, zuzuhören und gemeinsam Lösungen zu finden. Genau das ist demokratisches Miteinander.“
Ein weiteres Learning: Projektkoordination, Organisation und gleichzeitige Teilnahme in Personalunion war herausfordernd. „Beim nächsten Mal würden wir die Rollen klarer trennen“, sagt Sophia Ludwig rückblickend.
Mehr Sicherheit, mehr Sensibilität, mehr Teilhabe
Nach einem Jahr Fortbildung ist die Bilanz eindeutig positiv. Die neuen Berater*innen fühlen sich sicherer in ihrer Rolle, haben konkrete Methoden an der Hand und sind stärker vernetzt. Noch wichtiger: Das Bewusstsein für demokratische Werte und deren Bedeutung im Arbeitsalltag ist gewachsen.
„Wir merken, dass sich bei uns im Verband etwas bewegt“, so Sophia Ludwig. „Die Sensibilität für Sprache, für Beteiligung, für faire Entscheidungsprozesse ist gestiegen. Kolleg*innen setzen eigene Projekte um, organisieren z. B. eine Teilnahme am CSD, oder bringen neue Ideen für Teilhabe in ihre Teams ein.“
Auch für Merret Hinrichsen und Dennis Eighteen war das Projekt ein besonderer Meilenstein: „Wir durften erleben, wie eine Organisation gemeinsam lernt und wächst. Für uns war das auch ein persönlicher Lernprozess, noch genauer hinzuschauen, wie Sprache wirkt, wie wir Räume für Dialog schaffen und wie demokratische Kultur in Organisationen praktisch gelebt werden kann.“
Wie geht es weiter mit dem Projekt mitWirkung!?
Die Fortbildung ist abgeschlossen – doch der Prozess geht weiter. Die Johanniter werden ihre Berater*innen weiter einbinden, Netzwerke stärken und neue Formate entwickeln, um demokratische Werte weiter mit Leben zu füllen.
„Jeder Tag bringt neue Perspektiven“, sagt Sophia Ludwig. „Wir sind dankbar, dass wir diesen Weg mit flow consulting gehen konnten – und freuen uns darauf, die nächsten Schritte gemeinsam mit unseren Berater*innen zu gestalten.“
Hier der Song, der als Verankerung zum Abschluss der Ausbildungsreihe von Dennis Eighteen erstellt wurde:
Fazit: Einfach mal machen!
Das Projekt „mitWirkung!“ sowie das Fortbildungsprogramm zeigen eindrucksvoll, wie Hilfsorganisationen demokratische Strukturen stärken können – praxisnah, nachhaltig und mit einem starken Netzwerk an engagierten Menschen. Die Zusammenarbeit zwischen Johanniter-Unfall-Hilfe und flow consulting hat nicht nur Wissen vermittelt, sondern Haltung geprägt und Mut gemacht, das Gelernte umzusetzen und – ganz einfach ausgedrückt – einfach mal zu machen. Im Sinne der Verantwortung für ein respektvolles, vielfältiges und demokratisches Miteinander.
[1] Korrekturhinweis: Im Podcast ist uns ein kleiner Fehler unterlaufen. Die dort genannten Zahlen stimmen nicht ganz. Die Angaben in diesem Blogbeitrag sind korrekt und auf dem neuesten Stand.
Fotos: Benny Golm
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