Vor genau fünfzig Jahren erschien ein legendäres Gespräch zwischen dem Altkanzler Konrad Adenauer und dem Herausgeber und Chefredakteur des SPIEGEL, Rudolf Augstein (Spiegel 17/1967, S. 29). Es ging vorrangig um die Außenpolitik – und auch ganz allgemein um die Herausforderungen der Zeit.

Adenauer: „Daß der Mensch heute so schnell von einem Ort zum anderen reisen kann, daß er so viele Eindrücke hat, das kann die Menschheit auf die Dauer nicht aushalten. Ich bin da skeptisch. Ich weiß nicht, ob das noch lange so weiter geht.“

Augstein: „Die Nachrichtenflut, der jeder Mensch heute ausgesetzt ist, kann er kaum verdauen.“

Auch wir reden heutzutage von einer schnellen, komplexen, dynamischen Welt – und bezeichnen sie beispielsweise als „VUCA“ (Volatile, Uncertain, Complex, Ambiguous). Die Welt von Adenauer und Augstein erscheint uns dabei als geordnet, ruhig und überschaubar – im verklärenden Rückblick!

Mein Großvater hatte bis zum Jahr 1967 ein Kaiserreich erlebt, eine fragile Demokratie einschließlich Hyperinflation und Wirtschaftskrise, eine totalitäre Diktatur, eine Demokratie, die gerade auf Trümmern erbaut wird – und ‚zwischendurch‘ zwei Weltkriege und ein paar Währungsreformen. Er erlebte weiterhin den Einzug des Radios und des Fernsehers, die Elektrifizierung, die Automobilisierung usw. Ganz schön viel VUCA.

Wir sehen heutzutage die Komplexitäten unserer Vorfahren als vollkommen normal an und unterschätzen sie damit. Der von mir sehr geschätzte Betriebswirtschaftler Günther Ortmann erklärt dieses Phänomen: „Wir entwickeln nämlich ‚baselines‘ und daher Maßstäbe der Wahrnehmung, an denen wir bemessen, was wir für natürlich und normal und was wir für unnatürlich und problematisch halten, und das Problem mit diesen Maßstäben ist, dass sie sich in unserer alltäg­lichen Praxis herausbilden und sich daher mit der Zeit ändern, in Relation zu jener Praxis und zu den jeweils hinzukommenden Erfahrungen. ‚Shifting baseli­nes‘ nennen Umweltpsychologen dieses Phänomen.“

Es ist also keine Verklärung früherer Zeiten, sondern eine Gewöhnung an diejenigen Geschwindigkeiten, die damals als Zumutung empfunden wurden. Heute wird das als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt.

Was bedeutet das nun für die Kompetenzen, die eine Führungskraft heutzutage haben sollte, um in unserem VUCA zurechtzukommen?

Das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter führte 2015 eine Metastudie durch und merkt an, dass „Agilität“ oder „disruptives Denken“ doch gar nicht so gefragt sind wie gedacht (Ränge 44 bzw. 45 von 71 Kompetenzen). Ja, wer hätte das gedacht. Wer direkt nach der Notwendigkeit von Agilität und Disruption fragt, der erhält von den Praktikern des operativen Führens eben eine direkte Abfuhr. Ebenfalls vor zwei Jahren erschien die von der Deutschen Telekom in Auftrag gegebene Studie zu den Megatrends digitaler Arbeit der Zukunft.

Prognostiziert werden umfangreiche Innovationen, Maximierung der Informations-Geschwindigkeit, neue Entdeckungen, Verstärkung der Zusammenarbeit auf vielen Ebenen, ein wertschätzender Umgang mit Scheitern und vieles anderes mehr. Nun ist es ja – nach Karl Valentin – so, dass Prognosen schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen. Doch was bleibt, ist ein Gefühl des Aufbruchs, eine Stimmung des ‚Verflüssigens’ und Ungeordnetseins, in der Führungskräfte Ausrichtung und Sicherheit bieten sollen. Die im vergangenen Herbst vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales herausgegebene Studie zu ‚Arbeiten 4.0 unterstreicht diese Stimmung wie auch die Zerrissenheit vieler Beschäftigter sowie die Sorge, das „auf die Dauer nicht aushalten“ (Adenauer) zu können.

Die Future Skills for Leadership

Um Struktur und Orientierung in diese Lage zu bringen, haben wir von flow consulting zusammen mit einigen unserer über 25 internationalen Beratungspartner eine Vielzahl an Studien untersucht und zusammengefasst. Diese Studien stammen u.a. aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und den USA und beschreiben die Anforderungen an die zukünftigen Kompetenzen einer Führungskraft. Das Ergebnis: Es gibt sieben Führungskompetenzen, um in dynamischen und unübersichtlichen Situationen erfolgreich zu führen. Diese nennen wir Future Skills for Leadership dynamic oder abgekürzt ‚FSL dynamic’. Die in übersichtlichen und stabilen Situationen zweckmäßigen klassischen Führungskompetenzen (‚FSL classic’) werden damit nicht überflüssig, sondern gelten weiterhin.

Power-Potential-Profile, Future Skills for Leadership classic

Future Skills for Leadership classic

Power-Potential-Profile, Future Skills for Leadership dynamic

Future Skills for Leadership dynamic

Ganz so wie bei den oben genannten „shifting baselines“: Die uns als Selbstverständlichkeit vertrauten acht klassischen Führungskompetenzen setzen wir meistens bei Führungskräften voraus. Die „Zumutung“ der dynamisch-komplexen Arbeit wird durch die sieben neuen Führungskompetenzen beschrieben. Mit einem Test können wir nun diese Kompetenzen messen, bis hin zu einem 360°-Feedback. Das Ergebnis gibt Führungskräften Rückmeldung, wo Stärken und wo Schwächen bei der Führung in stabilen wie dynamischen Umgebungen bestehen. Nur mit allen – also insgesamt fünfzehn – Führungskompetenzen ist eine Führungskraft in der Lage, eine Flexibilität und Offenheit zu zeigen, die nicht in Beliebigkeit oder Orientierungslosigkeit münden. Diese Balance herzustellen und auszuhalten – das ist Aufgabe der Führung von heute.

Hier finden Sie unsere Metastudie zu diesem Thema.

Frank Wippermann