Das Internet der Dinge, 3-D-Drucker, Virtual Reality, automatisiertes Fahren, Vernetzung, Digitalisierung: Die digitale Transformation scheint unaufhaltsam voranzuschreiten, da wird auch ein Hackerangriff auf 900.000 Router nur wenig Tempo rausnehmen.

Klar ist: Wenn die Online-Übertragung von Daten lahmt, dann geht nur sehr wenig in der 4.0-Welt voran. Doch wie sieht es aus, wenn die Organisation und die Führung „lahmen“; wenn sie nicht die notwendige „Agilität“ an den Tag legen; wenn sie nur langsam und in Routinen verhaftet reagieren? Und was passiert, wenn sie auf unerwartete Ereignisse gar nicht oder zu spät reagieren, weil sie es nicht gelernt haben, sich darauf rechtzeitig einzustellen?

Aus „Big Data“ wird „Smart Data“
Ich komme von einer Veranstaltung zur „Digitalen Transformation“ in Hamburg. Es war wohltuend, dass gleich zu Anfang der qualitative Unterschied zu „früher“ sehr deutlich gemacht wurde: Leistungsfähigere Rechner können immer mehr Daten mit immer pfiffigeren Algorithmen auswerten. So erst wird aus „Big Data“ ein zweckgerichtetes und nutzbringendes „Smart Data“. Ja, auch früher hat es Rechner, Daten und Programme gegeben – doch genauso wie es einen Unterschied zwischen einem überfluteten Keller und einer Sturmflut gibt, so gibt es auch einen Unterschied zwischen einer Excel-Programmierung auf dem privaten PC und der Vernetzung von Daten in Echtzeit. Das „Umschlagen von Quantität in Qualität“ hat Hegel das mal genannt.

Der Vortrag bewegte sich zwischen Technik- und Wirtschaftswissenschaften, zwischen den sinkenden Kosten für Speicherkapazitäten und der steigenden Nutzung von Smartphones. So richtig spannend wurde es erst in der sich anschließenden Diskussion. Schließlich bestand der Teilnehmerkreis aus Führungskräften aus verschiedenen Branchen. Dass die Digitalisierung diese verschiedenen Branchen unterschiedlich stark durchdrungen hat ist klar. Obwohl: Mein Favorit auf Platz 1, die Logistik, musste sich mit einem zweiten Platz zufriedengeben, nach der Landwirtschaft (!).

Die unterschiedlichen Unternehmensbereiche dürfen nicht auseinander driften
Doch auch innerhalb eines Unternehmens gibt es verschiedene Geschwindigkeiten der Digitalisierung: Rechnungswesen, Finanzen, IT und Controlling sind die Spitzenreiter. Personal, Wissensmanagement und Recht die Schlusslichter. Hier wartet die erste Herausforderung für das Management. Es muss dafür sorgen, dass die unterschiedlichen Unternehmensbereiche miteinander sprach- und handlungsfähig bleiben. Die Entwicklung der Digitalisierung der Abteilungen darf nicht zu stark auseinander driften – ohne dass lediglich der Langsamere das Tempo vorgibt.

Interessanter für die Führungskräfte war es, die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Rolle und Funktion von Führung zu betrachten. Die Meinungen der anwesenden Führungskräfte gingen dabei auseinander von „Führung bleibt immer so wie sie ist“ bis hin zu „Führung muss ganz neu erfunden werden“. So klar die technischen Anforderungen der Digitalisierung sind, so schwammig sind sie für die Anforderungen an Führung.

Sehr viel wird nun inzwischen „4.0“ getauft. Wir wollten wissen, was genau dahintersteckt und was nur „Mode“ ist. Dementsprechend haben wir die wichtigsten Studien aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich und den USA zu diesem Thema zusammen getragen und bei uns im flow-Team im Anschluss an die Veranstaltung in Hamburg diskutiert. Die wichtigsten Erkenntnisse skizziere ich hier in aller Kürze in Form von 4 Thesen:

1. Der allzeit gültige Plan hat ausgedient
Führung in der digitalen Welt muss sich von den Gewissheit und Legitimation versprechenden Beispielen, den Best Practices, lösen: “It seems that a list of good or best practices […] is not sufficient. […] We observed a kind of constant probing and sensing and appropriate responses. In other words, the participating organizations do not see these practices as a recipe to follow. They are merely a collection of emergent practices. […] The teams create safe to fail experiments and act according to the outcomes.”* An die Stelle der Vorbilder tritt also ein „Versuchen“ auf Sicht, dessen Ergebnis der Input für den nächsten Probelauf bildet. Das Generelle und die verlässliche Orientierung mitsamt dem allzeit gültigen Plan haben in der 4.0-Welt ausgedient.

2. Vier Lernfelder für die Führung
Vergleicht man das derzeitige Führungsverhalten mit dem Führungsverhalten, welches den Herausforderungen der Digitalisierung gerecht wird, so zeigen sich die größten Diskrepanzen in folgenden vier Bereichen: (1) Langfristig wirksames Lernen aus Fehlern; (2) Top-Management in der Vorbildrolle für Change-Initiativen; (3) Gestaltung der Veränderung durch die Führungskraft; (4) schnelle Umsetzung von Entscheidungen.

3. Vom Director zum Facilitator
Statt Ziele vorzugeben, Ergebnisse herbeizuführen oder durch Interventionen zu steuern soll die Führungskraft in Zukunft Arbeitsumgebungen gestalten, in denen Ergebnisse erreicht werden. Statt „impose & direct“ ein „facilitate & enable“. Orientierung geben, als Coach agieren, Erwartungen formulieren und Hindernisse wegräumen – damit sind grob die Führungsaufgaben skizziert.

4. Neue Führungskompetenzen in der digitalen Welt
Wenn die neuen Aufgaben und Rollen von Führung klarer sind, bleibt die Frage, welche Kompetenzen eine Führungskraft haben sollte, um diesen neuen Anforderungen gerecht zu werden. An dieser Stelle konnte ich im flow-Team eine Studie aus Frankreich vorstellen. Die Studie wurde vom Beratungsunternehmen ‚Sensing’ – unser französischer Partner – gemeinsam mit dem Netzwerkverband französischer Großunternehmen erstellt. Vier Kompetenzrichtungen werden in dieser Studie ausgemacht. Eine Führungskraft muss die Fähigkeit haben,

  • alle Akteure zu beteiligen und mit ihnen gemeinsam Aktivitäten anzugehen;
  • einen Dialog initiieren, um die Chancen und Risiken, die Möglichkeiten und Hindernisse einer (weiteren) Digitalisierung permanent zu identifizieren;
  • die Wahrnehmung der vielen Akteure zum Stand und zu den Herausforderungen der Digitalisierung offen aufnehmen;
  • eine gemeinsame Vorstellung über die kulturellen Auswirkungen der Digitalisierung auf das Unternehmen herbeizuführen.

Mit diesen 4 Thesen werden die Modebegriffe „Führung 4.0“ und „Agilität“ konkret. Die Digitalisierung erfordert nicht nur die Auseinandersetzung mit den technischen Implikationen, sie verlangt auch zusätzliche Kompetenzen von Führung. Diese Führung geht weg vom Feldherrnhügel hinein in die Ebene des praktischen gemeinsamen Experimentierens.

Frank Schache-Keil

P.S. Future Skills for Leadership – dynamic
Wir sind bereits seit ca. 6 Monaten in der Entwicklung eines Kompetenzmodells für Führung in der digitalen Welt, zusammen mit unserem Partner Sensing aus Frankreich. Dazu wird es ein Feedback-Instrument geben, welches wir im nächsten Jahr veröffentlichen werden. Unser Arbeitstitel zu diesem Verfahren lautet: „Future Skills for Leadership dynamic“. Mehr dazu in einem unserer nächsten Blogbeiträge.

* Das Zitat stammt aus: Kropp, M./Meier, A. (2015): Agile Success Factors. A qualitative study about what makes agile projects successful. Publisher: FNHW and ZHAW. www.swissagilestudy.ch.